Joseph Sharp: Quitting Crystal Meth
Kapitel 1 S. 10 von 99

Der letzte Rausch

Unendlich oft haben sich die meisten von uns spontan gesagt: Heute ist das letzte Mal. Aber so klappt das natürlich nicht, das haben wir gelernt. Warum? Weil wir zu diesen Zeitpunkten innerlich nicht wirklich bereit und überzeugt waren. Bei mir war es einmal so, dass ich mir vorgenommen hatte aufzuhören und mir einen festen Termin ausgedacht hatte - nämlich aus Anlass eines geplanten stationären Entzugs. Genau zwei Wochen vorher wollte ich dann zum letzten Mal eine Konsumphase durchziehen, die in meinem Fall normalerweise fünf Tage dauert, gefolgt von 2 Tagen schlafen. Ich würde dann stolz als schon cleaner Musterpatient einmarschieren. Ihr dürft an dieser Stelle gern lachen.

Ich habe also meinen Fünf-Tage-Rausch begonnen und mich danach tatsächlich schlafen gelegt. Als ich aufwachte, stellte ich fest, dass ich ja noch eine ganze Woche Zeit hatte. Natürlich habe ich diese Woche nicht genutzt um klar zu werden. Was habe ich gemacht? Ich habe bis zum geplanten Zeitpunkt gefeiert und konsumiert. Und zur Therapie bin ich dann schließlich gar nicht gegangen. In meinem Fall war das dann übrigens tatsächlich der letzte lange Rausch - obwohl der Plan nicht wie ursprünglich gedacht abgelaufen war. Aber während dieses Rausches wurde mir plötzlich klar: Das war’s für mich, jetzt ist der Punkt der Entscheidung gekommen. Wenn ich jetzt nicht aufhöre, sterbe ich als hoffnungsloser Drogenjunkie.

Ich will nicht sagen, dass es nichts bringt, sich immer mal wieder zu sagen, nun ist Schluss mit dem Konsum, auch wenn man es vielleicht noch nicht hundertprozentig spürt. Das machen wir Abhängigen halt. Es ist eben nicht eine rationale Entscheidung oder gar ein einfacher Schritt, aufzuhören. Nach meiner Erfahrung hat es nichts gebracht, vor der geplanten Therapie selbst entgiften zu wollen. Meine Empfehlung für Dich: Wenn Du einen stationären Entzug machen willst, dann mache einfach einen festen Termin aus, das ist wichtig - und mach Dir keinen weiteren Druck. Hauptsache, Du erscheinst dann - in welchem Zustand auch immer - zum Aufnahmetermin.

Wenn Du selbst entgiften willst - ohne stationären Entzug - habe ich eine ähnliche Empfehlung für Dich. Setze Dir kein festes "Clean"-Datum. Du beginnst einfach Deine letzte Konsumphase ... und am letzten Tag, wenn Du Dich erschöpft und fertig fühlst und keine Drogen mehr im Haus sind, beginnt es für Dich: Vernichte Dein Konsum-Zubehör. Wenn Du dabei noch irgendwelche Reste findest, wirf sie weg, spül sie die Toilette hinunter. Schau bei dieser Gelegenheit auch gleich noch mal in den Schubladen nach und überall dort, wo noch etwas rumliegen könnte. Damit ist Dein erster Schritt getan. Leg Dich nun schlafen und wenn Du aufwachst, kannst Du Deinen Heilungsprozess zu Hause beginnen.

Abschliessend: Natürlich kann man denken "Warum so ein Spektakel um den letzten Rausch?" Kann man nicht rückblickend nach einigen konsumfreien Tagen sagen, der letzte Rausch war längst gewesen? Ja, das kann man, das hört sich auch vernünftig an. Aber das menschliche Wesen funktioniert nicht nur nach Prinzipien der Vernunft. Deshalb kann das Konzept des "letzten Rausches" oder der letzten Konsumphase - wie oben vorgeschlagen - für Dich ein wichtiges und gutes Ritual darstellen.